Das religiöse Leben
99% der Bevölkerung in der Türkei sind Muslime. Den restlichen 1-prozentigen Teil machen Orthodoxe, Juden, Katholiken, Protestanten und andere christliche Religionen aus. Jedermann genießt in der Türkei Religionsfreiheit. Niemand darf gezwungen werden, an religiösen Zeremonien oder Predigten teilzunehmen oder seinen religiösen Glauben bekannt zu geben. Niemand darf wegen seines Glaubens beschuldigt werden.
Der islamische Glauben mißt der Toleranz große Bedeutung bei. Daß es unter den Türken schon vor dem 17. Jahrhundert, als im Westen die religiöse Toleranz erst begann, die religiöse Toleranz bereits herrschte, ist auf diese Eigenschaft des Islam zurückzuführen. Die türkischen Staaten haben in der Geschichte keine Glaubenskriege geführt. Besonders in der seldschukischen und osmanischen Zeit verfügten die in Anatolien und im europäischen Teil des Reiches lebenden Christen über Religionsfreiheit. Im 15. Jahrhundert fanden Juden, die vor dem Greuel der Inquisitionsgerichte in Spanien flüchteten, in der Türkei Zuflucht. Die damals auf osmanischen Territorien angesiedelten Juden leben heute noch frei und unter umfassender religiöser Toleranz innerhalb der türkischen Territorien.
Säkularismus (Laizismus)
Die Republik Türkei verfügt über eine säkulare Staatsstruktur. Sie ist das einzige islamische Land, das in ihrer Verfassung dem Laizismus einen Platz einräumt und ihn umsetzt. In der Republikszeit wurden wichtige Schritte zum Laizismus nach der Aufhebung des Kalifats und der Schließung der Ministerien für Scheriatangelegenheiten und für religiöse Angelegenheiten am 4. März 1924, und mit den Gesetzen zur Herstellung der Einheit in der Erziehung und in der Justiz unternommen. Diesen Schritten folgten die Reform der Kopfbedeckung, die Schließung der Sekten und Derwischkloster, Verschiebung des wöchentlichen Feiertages von Freitag auf Sonntag, die Annahme des lateinischen Alphabets und der christlichen Zeitrechnung und andere Maßnahmen. Am 5. Februar 1937 wurde mit der Änderung des Gesetzes Nummer 3115 der Laizismus als Verfassungsprinzip im Grundgesetz verankert. Obwohl der Laizismus erst 1937 in das Grundgesetz aufgenommen wurde, herrscht dieses Prinzip "de facto" schon seit der Proklamation der Republik.
Das Amt für religiöse Angelegenheiten
In der laizistischen Türkei werden religiöse Angelegenheiten unter einer zentralen Verwaltung geregelt und von einer staatlichen Anstalt geleitet. Am 3. März 1924, als das Kalifat aufgehoben wurde, gründete man das "Amt für religiöse Angelegenheiten", das dem Ministerpräsidium unterstellt war. Die Aufgaben dieser Anstalt sind die Verwaltung der Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem islamischen Glauben, dem Beten und den moralischen Regeln, die Aufklärung des Volkes über die Religion und die Verwaltung der Gebetshäuser. Das Amt für religiöse Angelegenheiten besteht mit seiner heutigen funktionellen Struktur aus Vertretungen in der Zentrale, in den Provinzen und im Ausland. Die Anstalt hilft mit ihrem Personal von mehr als 80.000 Beschäftigten sowohl im Inland als auch im Ausland den türkischen und muslimischen Bürgern, ihren religiösen Pflichten Folge zu leisten. In den Bezirken und Kreisstädten wird die Anstalt von Muftis vertreten. Sie versucht im Rahmen der in der
Verfassung festgelegten Prinzipien mit dem Ziel der Solidarität und Einheit der Nation Prinzipien des Islam wie Einheit und gegenseitige Hilfe unter der türkischen Bevölkerung zu verbreiten und ist politisch unparteiisch. Als eine staatliche Einrichtung arbeitet die Anstalt für alle Muslime ohne Unterschied zwischen den verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen.
Auch bei der Entwicklung neuer Ziele und Strategien parallel zu den Veränderungen und Entwicklungen in der Welt ist das Amt für religiöse Angelegenheiten aktiv. In diesem Zusammenhang fand vom 3. bis 7. Mai 2000 in İstanbul der "Internationale Rat für die Europäische Union" statt, um mit einer Stärkung des Dialogs zwischen den Religionen einen Beitrag zum Anpassungsprozeß an die Europäische Union (EU), der nach dem Gipfel von Helsinki begann, zu leisten. Die am Ende der Ratsversammlung, auf der Themen wie die Beziehungen zur EU, die im Bereich des Glaubens entstehenden Probleme und Vorschläge zu ihrer Lösung, die Beziehungen zwischen Staat und Religion oder die Menschenrechte erörtert wurden, beschlossenen Empfehlungen in 68 Paragraphen werden sowohl bei den im Verlauf des Beitrittsprozesses vorzunehmenden Korrekturen als auch bei den nach einem Beitritt vorzunehmenden Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen. Die am Ende der "Konferenz über Religionen im Zeitalter des Glaubens und der Toleranz", die vom 10. bis zum 11. Mai 2000 in Tarsus stattfand, von allen religiösen Führern in der Türkei unterzeichnete Tarsus-Deklaration ist dagegen ein historisches Dokument, das Vorschläge und Ansichten enthält, die einen Beitrag zum Weltfrieden leisten können.